Dylan Thomas – wo hat er seine Bücher geschrieben
Der Dichter und das Bootshaus – Dylan Thomas
Es war 1934. Dylan Thomas, ein neunzehnjähriger schlanker, modisch gekleideter junger Mann, wartete am Ufer des Flusses Taf auf eine Fähre.
Seine Augen huschten hin und her, das Landschaftsbild aufnehmend, welches sich ihm bot. Dann verharrte sein Blick auf der anderen Seite des Flusses. Dort, inmitten der sanften grünen Hügel, standen zwei weiße Häuser. Eines gehörte dem Fährmann, das andere war ein Bootshaus.
Es waren einfache, unprätentiöse Gebäude, und doch zogen sie Thomas magisch an. Ob er ahnte, dass dieses Bootshaus, das er zum ersten Mal sah, sein Zuhause für seine letzten vier Lebensjahre sein würde?
Damals war Thomas noch unbekannt. Die Poesie, die später seine Seele definieren und seine Berühmtheit begründen sollte, existierte nur in seinen Gedanken und in den Notizbüchern, die er immer bei sich trug.
Die Seiten dieser Bücher waren voll von Versen und Strophen, gefüllt mit seiner rohen, ungebändigten Kreativität. Aber noch waren sie unveröffentlicht und kaum niedergeschrieben. Thomas war ein Dichter in der Mache, ein Talent, das darauf wartete, entdeckt zu werden.
Fünfzehn Jahre später, 1949, war Thomas nicht mehr der junge, unbekannte Dichter, der am Flussufer auf eine Fähre wartete. Er war zu einem berühmten Mann geworden, der sowohl in seiner Heimat Großbritannien als auch in den USA gefeiert wurde. Seine Gedichte und Kurzgeschichten wurden in den besten Literaturzeitschriften veröffentlicht, er hatte mehrere Drehbücher geschrieben und unzählige Sendungen für die BBC produziert. Seine kreative Stimme war nicht mehr in seinen Notizbüchern versteckt, sie hatte den Weg in die Welt gefunden.
Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt vier Gedichtbände und eine Kurzgeschichtensammlung veröffentlicht. Seine Stimme war bekannt, seine Schriften wurden geliebt und seine Arbeit wurde anerkannt. Er hatte Erfolg und die Anerkennung, die er sich immer gewünscht hatte. Doch neben seiner Arbeit gab es noch ein weiteres Kapitel in seinem Leben, das begonnen hatte: Thomas war mittlerweile verheiratet.
Nicht nur in seinem persönlichen und beruflichen Leben hatte sich viel verändert, auch seine Umgebung hatte sich gewandelt. Das Bootshaus, das er 1934 zum ersten Mal gesehen hatte, war jetzt sein Zuhause. Er war weit gereist, hatte die Welt gesehen, hatte Anerkennung und Ruhm gefunden, und nun kehrte er zurück an diesen Fluss, zu diesem Haus, das ihn so fasziniert hatte.
Das Bootshaus an der Taf
Das Bootshaus war ein Ort der Inspiration für Thomas. Es war, als ob die Gedichte und Geschichten, die er schrieb, vom Fluss und von den sanften Hügeln um ihn herum genährt wurden. Seine Arbeit erblühte hier, und er konnte nicht anders, als die Schönheit, die ihn umgab, in seine Schriften zu integrieren.
Aber das Leben am Fluss, das so idyllisch schien, hatte auch eine dunkle Seite. Thomas hatte einen starken Alkoholmissbrauch entwickelt. Es war eine Sucht, die sein Leben überschattete und letztendlich zu seinem Tod führte.
Er starb 1953 in New York, nur wenige Jahre nachdem er in das Bootshaus gezogen war.
Seine Haut war rötlich verfärbt, sein Gesicht aufgedunsen – eine Karikatur eines Mannes, der sich selbst zu sehr genoss. In seinen eigenen Worten war er ein „schäbiges Fass mit einem roten Speckgesicht“, ein klares Indiz für seinen übermäßigen Alkoholkonsum und seine steigenden Schulden.
Das Bootshaus war klein und unscheinbar, wie die Zeichnung eines Kindes, die in all ihrer Einfachheit und Direktheit sowohl berührend als auch etwas komisch wirkt. Es gab eine Tür zwischen zwei Fenstern und darüber drei weitere Fenster. Ein graues Schieferdach bedeckte das kleine Haus, und eine Veranda verlief ringsum, sodass es über dem Fluss thronte wie eine Wacht am Rande des Wassers. Es war nicht besonders luxuriös oder beeindruckend, aber für Thomas hatte es etwas Magisches.
So sehr das Bootshaus auch verzauberte, war es nicht ohne seine Mängel. Bei Flut drang Wasser durch ein Loch in der Gartenmauer ein, sodass das Haus regelmäßig überschwemmt wurde. Anfangs empfand Thomas das als ein abenteuerliches Element, eine Art romantischer Unannehmlichkeit. Doch mit der Zeit, als die Überschwemmungen immer häufiger wurden und auch Ratten begannen, sich im Haus zu zeigen, verblasste die Romantik schnell und machte dem Unbehagen Platz.
In seinen Briefen äußerte Thomas oft seinen Frust über das ständige Regenwetter, das nicht nur zu den Überschwemmungen beitrug, sondern auch eine ständige, feuchte Kälte mit sich brachte. Es schien, als ob die Natur sich gegen ihn verschworen hätte, um ihm das Leben in dem Bootshaus so schwierig wie möglich zu machen. Seine Frau Caitlin fand den Ort von Anfang an schrecklich und hasste das ständige Nass und die Kälte genauso sehr wie die Überschwemmungen und die Ratten.
Im Jahr 1951 machte Thomas eine überraschende Ankündigung. Er behauptete, er wolle das Bootshaus verkaufen. Es war eine Aussage, die seinen wahren Gefühlen widersprach. Tief im Inneren liebte er das Bootshaus immer noch und wollte es nicht aufgeben. Doch die ständigen Kämpfe gegen die Natur und die finanzielle Belastung waren einfach zu groß geworden.
Aber das Schicksal hatte andere Pläne. Eine wohlhabende Gönnerin, die Thomas kannte und sein kreatives Potenzial schätzte, kaufte den Pachtvertrag für das Bootshaus. Es war ein unerwarteter und willkommener Rettungsanker, der Thomas nicht nur das Bootshaus, sondern auch seine kreative Freiheit sicherte.
In Dankbarkeit erklärte Thomas, dass alles, was er in diesem „Wasser- und Baumraum auf der Klippe“ schreiben würde, eine Huldigung an diese Frau sei. Sie hatte ihm, so sagte er, ein Leben geschenkt, und er hatte vor, dieses Geschenk zu nutzen. So begann Thomas, trotz aller Widrigkeiten, wieder mit dem Schreiben.
Er fand in dem Bootshaus einen Raum der Inspiration und Kreativität, in dem er, getrieben von Dankbarkeit und neuem Lebenswillen, wieder produktiv sein konnte.
Eine alte Holzgarage wurde zu seinem Schreibschuppen
Hoch über dem Bootshaus, in der Hügellandschaft von Wales, thronte eine alte Holzgarage.
Sie war windschief und witterungsgezeichnet, ein Zeugnis der Zeit, aber sie hatte Charakter, sie hatte Seele. Was andere als marode Abstellkammer ansahen, sah er als eine Zuflucht vor der Welt, als einen Ort der Inspiration.
Er war Handwerker und Künstler zugleich. Mit Sorgfalt und Hingabe baute er neue Fenster in die Wände der Garage ein, ermöglichte so dem Licht der Außenwelt Einlass in sein künftiges Schreibdomizil. Ein neuer Ofen wurde installiert, um den rauen Winden der walisischen Winter zu trotzen.
Möbelstücke wurden angefertigt und platziert, ein Schreibtisch hier, ein Stuhl dort, eine Kommode an der Seite.
Es war eine einfache Einrichtung, aber sie hatte alles, was ein Schriftsteller brauchte. Mit diesen Veränderungen war der Schreibschuppen von Dylan Thomas geboren, ein Ort, der zur Geburtsstätte einiger seiner größten Werke werden sollte, darunter das unvergessliche „Unter dem Milchwald“.
Morgens Briefe und Kreuzworträtsel, mittags Alkohol und abends das Schreiben
Die Morgenstunden in diesem Schreibschuppen gehörten nicht den großen Werken. Sie waren vielmehr für die Alltäglichkeiten reserviert, die doch so wertvoll für Thomas waren. Hier schrieb er Briefe. Sein Vater, ein ruhiger und besonnener Mann, gesellte sich oft zu ihm.
Sie lösten zusammen Kreuzworträtsel, verloren sich in den Wörtern und den Bedeutungen, ein stilles Ritual zwischen Vater und Sohn.
Mittags, wenn die Sonne hoch am Himmel stand und das Licht durch die Fenster strömte, war es Zeit für eine Pause. Thomas genoss es, in diesen Stunden zu trinken, den Geschmack des Alkohols auf der Zunge, das angenehme Prickeln, das sich durch seinen Körper ausbreitete.
Aber er war kein Trunkenbold, kein Verlorener in der Flasche. Es war mehr ein Ritual, eine Methode, um seinen Geist zu entspannen und sich auf das vorzubereiten, was noch kommen sollte.
Denn um zwei Uhr nachmittags, wenn die Welt um ihn herum sich in der Siesta befand, begann für Dylan Thomas die Arbeit. Bis 19 Uhr saß er in seinem Schreibschuppen, die Stille nur durchbrochen vom Kratzen seiner Feder auf dem Papier.
Dies waren die Stunden, in denen seine Meisterwerke entstanden, in denen seine Worte das Papier berührten und Leben atmeten.
Thomas war kein gewöhnlicher Schriftsteller.
Er schrieb nicht einfach nur Worte aufs Papier, er belebte sie, gab ihnen eine Melodie und einen Rhythmus. Man sagt, dass er immer wieder sein Werk laut vorgelesen hat, um den Rhythmus und den Reim zu hören, die Alliteration zu perfektionieren. Seine Werke waren mehr als nur Geschichten, sie waren symphonische Kompositionen aus Buchstaben und Silben.
Seine Tochter Aeronwy erinnerte sich später an die Zeiten, in denen sie am Schreibschuppen vorbeiging und die Bruchstücke von Dialogen aus „Unter dem Milchwald“ und Gedichten hörte. Es waren Worte, die sich in ihre Erinnerungen eingeprägt haben, magische Formulierungen, die durch die dünne Holzwand des Schreibschuppens drangen.
Sie erinnerte sich an ihren Vater, wie er dort saß, vertieft in seine Werke, seine Stimme mal flüsternd, mal dröhnend, immer in der Melodie seiner Worte schwelgend.
Im Jahr 1950 machte sich Thomas auf eine Lesetour in die USA – ein mutiger Schritt für einen walisischen Dichter. Er trat vor große Menschenmengen auf, in Universitäten, auf Literaturfestivals und in Buchhandlungen, wo er sein Publikum mit seiner markanten Stimme und seinen lebendigen Interpretationen begeisterte.
Diese Lesetour war nicht nur ein persönlicher Triumph für Thomas, sie war auch ein Schlüsselmoment in der Literaturgeschichte.
Seine Stimme verlieh der Literaturgeschichte eine neue Dimension
In ihrer Berichterstattung über die Tour bemerkte die New York Times, dass Thomas’ Stimme der Literaturgeschichte eine neue Dimension verlieh. Er war nicht nur ein Dichter, der seine Werke vorlas, er war ein Performer, der sie zum Leben erweckte. Er gab der Poesie einen Klang, eine Stimme, die in den Köpfen der Zuhörer nachhallte.
Bis dahin hatte die Welt der Literatur die gesprochene Darbietung als sekundär betrachtet. Bücher wurden gelesen, nicht gehört. Doch Thomas änderte das. Mit seiner warmen, melodischen Stimme schaffte er es, die Schönheit und Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen. Er ließ seine Zuhörer die Sprache nicht nur hören, sondern auch fühlen.
Die New York Times war so beeindruckt von seiner Leistung, dass sie voraussagte, er würde der erste in der modernen Literatur sein, an den man sich auch als Sprecher von Poesie erinnern wird.
Dies war eine gewagte Prognose, doch sie hat sich als wahr erwiesen.
Heute erinnern wir uns an Thomas nicht nur für seine Worte, sondern auch für seine Stimme, seine Präsenz, seine Fähigkeit, Poesie in die Herzen der Menschen zu tragen.