Virginia Woolf – wo schrieb Sie Ihre Bücher
Virginia Woolf und ihre notwendigen Freiheiten für das Schreiben
„Um zu schreiben, muss eine Frau Geld und ein eigenes Zimmer haben“, schrieb Virginia Woolf in ihrem einflussreichen Essay „Ein Zimmer für sich allein“.
Diese simple, aber mächtige Aussage hebt hervor, wie zentral persönliche Unabhängigkeit und Ruhe für den kreativen Prozess sind, vor allem in einer Zeit, in der Frauen oft diese Freiheiten verwehrt wurden.
Schon 1904, als junge Frau, begann Woolf mit dem Schreiben von Artikeln. Trotz aller Widrigkeiten – und es waren viele – ließ sie sich nicht von ihrer Leidenschaft abbringen.
Nach elf Jahren der Beharrlichkeit und Ausdauer veröffentlichte sie 1915 ihren ersten Roman, „The Voyage Out“. Der Roman, der die Reise einer jungen Frau in Südamerika thematisiert, war ein Ausdruck ihrer tiefen Beobachtungsgabe und ihres einzigartigen Schreibstils.
1928 erzielte sie schließlich ihren ersten großen Erfolg mit der Veröffentlichung von „Orlando“. Der Roman, eine satirische Biographie über einen Adligen, der vier Jahrhunderte durchlebt und dabei das Geschlecht wechselt, war ein mutiger und gewagter Schritt, der sie in die Riege der renommiertesten Schriftstellerinnen ihrer Zeit katapultierte.
Mit dem verdienten Geld aus dem Verkauf dieses Bestsellers begann sie mit der Planung eines eigenen Raumes, eines Zimmers, in dem sie in Ruhe schreiben konnte.
Das auserwählte Heim für ihr Schreibzimmer war das Monk’s House, ein Haus aus dem 16. Jahrhundert, das sie zusammen mit ihrem Mann Leonard Woolf 1919 erworben hatte. Virginia beschrieb das Haus als lang und niedrig, mit vielen Türen – eine Metapher, die gleichzeitig für ihr eigenes Schaffen steht, das sich durch seine Vielschichtigkeit und Komplexität auszeichnete.
Zu Beginn war das Monk’s House eher schäbig und es gab keinen Strom. Die Räume waren kalt und ungemütlich. Doch der große Garten und der Obstgarten boten einen Ausgleich, einen Ort, an dem Virginia ihre Gedanken ordnen und Inspiration finden konnte.
Nach und nach begann Virginia, das Monk’s House zu verbessern. Mit ihrem kritischen Blick für Details und ihrem starken Willen, aus jeder Situation das Beste zu machen, sorgte sie dafür, dass das Haus immer wohnlicher wurde.
Im Jahr 1926 wurde endlich ein Badezimmer und ein Warmwasserherd installiert. Dies mag nach heutigen Maßstäben bescheiden klingen, doch für Virginia war es ein großer Schritt in Richtung Unabhängigkeit und Komfort.
Eine Besonderheit des Monk’s House war sicherlich die Badewanne. Nach dem Frühstück lag Virginia Woolf jeden Morgen in dieser Wanne und ließ ihrer Kreativität freien Lauf. Sie überdachte Szenen, formulierte Dialoge und dachte über ihre Charaktere nach.
Oft sprach sie laut vor sich hin, stellte Fragen und gab Antworten.
Ihre Dienerin erinnerte sich später daran, wie sie Woolf oft in der Badewanne reden hörte. Zuerst dachte sie, Woolf würde mit anderen Personen sprechen. Doch bald wurde klar, dass sie nur mit sich selbst sprach, ihre Gedanken formulierte und ihre Ideen in Worte fasste. Es war, als ob das Plätschern des Wassers und die Ruhe des Bades Woolf in eine andere Welt entführten, in die Welt ihrer Geschichten und Charaktere.
Der Geburt der Schreibhütte
Der zweistöckige Backsteinanbau von Monk’s House, in seiner einfachen und bescheidenen Erscheinung, wäre auf den ersten Blick kaum bemerkenswert. Doch in diesem Anbau, umhüllt von den Geräuschen der umliegenden Felder und Wiesen, plante Virginia Woolf ihr neues Refugium.
Das Zimmer im Erdgeschoss, konzipiert als Arbeitszimmer, war mit einem Fenster, das einen freien Blick auf das weite Feld gewährte, und einem Kamin ausgestattet, der sich gemütlich neben den Bücherregalen ausstreckte.
Doch das Schicksal hatte andere Pläne, und so wurde es stattdessen zu ihrem Schlafzimmer, einem stillen Zeugen ihres Genies und ihrer inneren Dämonen.
Stattdessen fing sie an, in einer einfachen Holzhütte im Garten, die aus einem alten Geräteschuppen gebaut wurde, zu schreiben. Durch die großzügigen Fenster konnte Woolf den Blick über das Feld schweifen lassen, während sie in die Tiefen ihrer Fantasie tauchte.
Doch trotz seiner scheinbaren Romantik und Isolation war es für sie kein idealer Arbeitsplatz.
Ihr Ehemann Leonard, mit seinem unermüdlichen Eifer, lagerte die Äpfel aus dem heimischen Obstgarten auf dem Dachboden der Hütte.
Das kontinuierliche Klappern und Rascheln der Äpfel, das Sortieren und das andauernde Kommen und Gehen machten einen störenden Lärm, der in Woolfs sensible Ohren drang und sie ordentlich störte.
Sie notierte ihre Frustration in ihrem Tagebuch und machte keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit.
Aber es waren nicht nur die Äpfel und Leonard, die ihre Konzentration störten. Ihr geliebter Hund, obwohl ihm sicherlich keine Schuld bewusst, nervte sie ebenfalls. Das ständige Kratzen seiner Pfoten an den Stühlen und seine freudigen Abdrücke auf ihren Notizbüchern unterbrachen die Stille, die sie für ihre Arbeit benötigte.
Im Winter wurde die Hütte, entblößt von jeglicher Isolierung, zu kalt, um darin zu arbeiten.
1924, ein Jahr voller Wandel und Veränderung, brachte auch eine wesentliche Änderung für Woolfs geliebte Hütte. Sie installierte eine Heizung und einen Ölofen, und so wurde aus der kalten, unbehaglichen Hütte ihre Schreibhütte, ihr Heiligtum.
Zehn Jahre später, 1934, beschloss Woolf, ihr Heiligtum an einen anderen Ort zu verlegen, dichter an die Friedhofsmauer und unter dem Schatten einer mächtigen Kastanie. Der alte Geräteschuppen wurde abgerissen und eine neue Hütte im Obstgarten errichtet.
Es war in dieser Hütte, dass Woolf alle Teile ihrer großen Romane schrieb, dass sie ihre scharfzüngigen Rezensionen verfasste und die liebevollen Briefe an ihren Ehemann schrieb. Hier in dieser bescheidenen Hütte, umgeben von dem Duft der Äpfel und dem Rascheln der Blätter, vollendete sie „Die Jahre“.
Diese Hütte wurde auch zum Schauplatz ihres Abschieds. Es war hier, dass sie den traurigen, rührenden Abschiedsbrief an ihren geliebten Leonard schrieb, bevor sie sich entschied, ihren inneren Dämonen zu entfliehen. Sie ertränkte sich 1941 in einem Fluss.
Die neue Hütte war mehr als nur ein Ort zum Schreiben für Woolf. Sie hatte französische Fenster, die das Licht hereinließen und den Blick auf das grüne Feld öffneten. Eine kleine gemauerte Terrasse diente als perfekter Ort zum Nachdenken und Träumen.
Das kreative Chaos
Woolf war aber auch bekannt für etwas ganz anderes: ihre Neigung zur Unordnung. In ihrer eigenen, ehrlichen Einschätzung war „der Müll im Raum entsetzlich“.
Es kam schon mal vor, dass Woolf Minuten brauchte, um ihren Stift inmitten des Chaos zu finden. Ihr Schreibtisch – ein massiver Holztisch in ihrer Schreibhütte – war stets mit Papieren und Manuskripten bedeckt. Eine geordnete Arbeitsfläche suchte man hier vergeblich. Doch statt eines Hindernisses war diese Unordnung Teil ihrer kreativen Prozesse, ein Spiegelbild ihrer umherschwirrenden Gedanken, die sich in den unterschiedlichsten Ecken des Raumes niederließen.
Während andere Künstler in einem präzisen, methodischen Rhythmus arbeiten, fand Woolf ihre Inspiration in einem Raum, der mehr an einen turbulenten Ozean erinnerte als an einen stillen Teich. Ihr geistiges Auge durchkämmte den Raum, fand Hinweise in Notizen und Entwürfen, und baute daraus Welten.
Woolf saß selten an ihrem Schreibtisch, vor allem nicht morgens, wenn sie an einem Roman arbeitete. Stattdessen zog sie es vor, in einem niedrigen Sessel Platz zu nehmen. Auf ihrem Schoß lag ein Brett, auf dem ein Tintenfass festgeklebt war, eine praktische Notwendigkeit im unübersichtlichen Meer aus Papier.
Dieser einfache, unauffällige Sessel wurde so zum Ort ihrer kreativen Entfaltung. Es war ihr Refugium, ein Ort der Ruhe und Konzentration, von dem aus sie ihre unvergleichlichen literarischen Reisen antrat.
Auf Woolfs Brett lag auch stets ein Notizbuch, das sie mit buntem Papier überzog. Dieses Detail mag unbedeutend erscheinen, doch in Wahrheit verbirgt sich dahinter eine tiefe künstlerische Absicht. Durch diese farbenfrohe Gestaltung wurde das Notizbuch zu einer kreativen Spielwiese, auf der Worte und Ideen in überschäumender Fülle zum Leben erwachten.
In diesen Notizbüchern schrieb Woolf die ersten Entwürfe all ihrer Romane – immer morgens, immer mit Feder und Tinte. Sie war eine Meisterin der Überarbeitung und feilte so lange an ihren Texten, bis sie ihrer kritischen Auffassung genügten. Dieser Prozess begann jedoch immer in diesen farbenfrohen Notizbüchern, den Geburtsstätten ihrer literarischen Meisterwerke.
In ihrer frühen Karriere schrieb Woolf an einem 90 cm hohen Schreibtisch mit schräger Tischplatte. Sie tat dies, um ihre Arbeit genauso anstrengend erscheinen zu lassen wie die Arbeit ihrer Schwester Vanessa. Sie suchte nicht nach Komfort, sondern nach einer physischen Verbindung zur künstlerischen Anstrengung. Der hohe Schreibtisch symbolisierte die körperliche Präsenz im Schreibprozess, eine Erinnerung daran, dass Schreiben nicht nur geistige, sondern auch körperliche Arbeit ist.
Virginia Woolf spielte nicht nur mit Worten, sondern auch mit Farben. Statt mit schwarzer Tinte zu schreiben, griff sie oft zu Lila, Grün oder Blau. Lila war dabei ihre Lieblingsfarbe. Sie verwendete sie vor allem zum Schreiben von Briefen, Tagebucheinträgen oder Manuskriptentwürfen.
Sorgfältig strukturierter Stundenplan
Ein Schriftsteller-Dasein ist nicht nur Inspiration und Träumerei, es verlangt auch Disziplin und Organisation. Woolf betrachtete ihren Tag als einen Raum, der in Abschnitte aufgeteilt werden muss, die ihrer Schreibpraxis dienen. Ihre Tagesstruktur glich einem sorgfältig ausgearbeiteten Stundenplan, der ihr die notwendige Stabilität und Konsistenz gab, um ihr kreatives Potential zu entfalten.
Jeder Morgen begann mit einem Ritual der Entspannung. Nach dem Frühstück nahm sie ein Bad, um den Tag ruhig und gelassen zu beginnen. Diese Momente der Ruhe und Gelassenheit, in denen der Geist frei von den Belastungen des Alltags war, waren für sie unerlässlich, um sich auf die anstehenden Schreibstunden vorzubereiten.
Nach ihrem Morgenritual begann sie um 9:30 Uhr mit dem Schreiben. Diese Stunden am Vormittag widmete sie dem Verfassen von Rezensionen. Es war eine Zeit der tiefen Konzentration und des eingehenden Studiums, in der sie die Werke anderer analysierte, interpretierte und bewertete. Sie betrachtete dies als eine wertvolle Übung, um ihre eigenen Schreibfähigkeiten zu verfeinern und ihre kritische Wahrnehmung zu schärfen.
Das Schreiben von Rezensionen endete um 12 Uhr, pünktlich zum Mittagessen. Der Morgen klang aus mit dem Gefühl, bereits etwas Bedeutendes erreicht zu haben, und der Nachmittag stand noch bevor.
Nach dem Mittagessen ging sie am Nachmittag spazieren. Sie verließ ihren Schreibtisch und betrat die Welt außerhalb ihrer vier Wände. Der Spaziergang bot ihr die Möglichkeit, frische Luft zu atmen, neue Perspektiven einzunehmen und sich inspirieren zu lassen. Die Natur, die Menschen, die Geräusche der Stadt – all dies bot frischen Stoff für ihre Gedanken und ihre Arbeit.
Nach ihrer Rückkehr und einer Tasse Tee widmete sie sich der persönlichen Korrespondenz und dem Schreiben in ihr Tagebuch. Dies war eine intime und persönliche Zeit, in der sie ihre Gedanken und Gefühle festhielt, Briefe an Freunde und Kollegen schrieb, und sich Zeit nahm, um das Geschehene zu reflektieren.
Der Abend bot Raum für Vergnügen und Entspannung. Sie las gerne oder traf sich mit Freunden. Durch das Lesen tauchte sie in andere Welten ein, und beim Treffen mit Freunden wurde sie wieder Teil der eigenen. Beide Aktivitäten boten wertvolle Einblicke und Inspirationen für ihre Schreibarbeit.
Ein wesentlicher Bestandteil ihrer Schreibpraxis war die Überwachung ihres eigenen Fortschritts. Sie setzte sich Ziele und kontrollierte, wie gut sie diese erreicht hatte. Dieser Prozess ermöglichte es ihr, Verantwortung für ihre Arbeit zu übernehmen, ihre Fortschritte zu messen und notwendige Anpassungen vorzunehmen.
Dieser zielorientierte Ansatz gab ihr die notwendige Motivation und den Antrieb, um auch in schwierigen Zeiten am Ball zu bleiben.
Nicht immer lief alles nach Plan. Alltägliche Störungen, wie das Läuten der Kirchenglocken, Schulkinder auf der Straße oder das Klingeln des Telefons, konnten ihre Konzentration beeinträchtigen und sie aus dem kreativen Fluss reißen.
Solche Störungen frustrierten sie, denn sie unterbrachen ihre kreative Arbeit und zwangen sie dazu, ihren Fokus neu auszurichten.
Trotz aller Herausforderungen und Unannehmlichkeiten blieb sie ihrer Philosophie des Schreibens treu. Sie glaubte fest daran, dass man beim Schreiben seinem eigenen Instinkt folgen und seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen sollte.
Sie sah Ratschläge anderer eher kritisch, denn sie war davon überzeugt, dass der kreative Prozess etwas zutiefst Persönliches und Individuelles ist.