Vita Sackville-West – wo schrieb Sie Ihre Bücher
Vita Sackville-West und ihr faszinierendes Schreibzimmer im Turm von Sissinghurst Castle
Im Herzen des malerischen Kent in England, umgeben von weiten, grünen Feldern und Wäldern, thront das majestätische Sissinghurst Castle, ein symbolträchtiger Ort, der tief in der Literaturgeschichte Englands verwurzelt ist.
Hier, im Turm dieses umwerfenden Anwesens, befand sich das Schreibzimmer von Vita Sackville-West, einer der schillerndsten und einflussreichsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Dieses Schreibzimmer, kein einfacher Schuppen, keine bescheidene Hütte, sondern ein Turmzimmer, spricht Bände über Sackville-West und ihre besondere Beziehung zur Literatur und Architektur.
Sackville-West verglich ihr Schreibzimmer einmal mit Dornröschens Schloss.
In einem Brief aus dem Jahr 1950 schrieb sie: „Es ist wie Dornröschens Schloss, immer umgeben von einer dichten Dornenhecke, und ich bin die einzige, die den Weg hindurch kennt.“
Diese Aussage vermittelt nicht nur ihre romantische Vorstellung vom Schreiben, sondern auch die tiefe Zuneigung, die sie für diesen Ort empfand, der ihr sowohl als Zufluchtsort als auch als Inspirationsquelle diente.
Das Sissinghurst Castle, wie man es heute kennt, ist weit entfernt von dem Zustand, in dem es sich befand, als Sackville-West es zum ersten Mal in den 1930er Jahren entdeckte. Damals war kein einziges Zimmer bewohnbar, der Garten nicht existent, verwandelt in eine Müllhalde, übersät mit Maschendraht, Flaschen und überwuchert von Brombeersträuchern. Es war eine Ruine, die nach Liebe und Sorgfalt schrie.
Es war 1930, als Sackville-West, auf der Suche nach einem neuen Projekt, auf die Burg stieß. Sie war damals bereits eine etablierte Schriftstellerin und gemeinsam mit ihrem Ehemann, Harold Nicolson, bereit, sich einer neuen Herausforderung zu stellen.
Schlösser und Burgen waren ihr keineswegs fremd. Tatsächlich war sie in einem solchen aufgewachsen, dem Knole House, einem der größten Paläste Englands mit fast 400 Zimmern.
Dieses unglaubliche Gebäude, mit seiner schieren Größe und dem Gefühl von Macht und Geschichte, hatte einen tiefen Einfluss auf Sackville-West und wurde zur Inspiration für das große Haus Chevron in ihrem Roman „The Edwardians“.
Das Elternhaus hatte Sackville-West nicht nur inspiriert, sondern sie auch geliebt. In ihrem Buch „Knole and the Sackvilles“ schrieb sie: „Ich liebte Knole, wie ein Kind sein Zuhause liebt, und hielt es für selbstverständlich, dass Knole mich liebte.“
Aber trotz dieser tiefen Zuneigung, trotz der Geschichte, die ihre Familie mit diesem prächtigen Palast verband, konnte sie ihn nicht erben, weil sie eine Frau war. Dieser Verlust machte sie zu einer ungewollten Exilantin.
In diesem Kontext wird Sissinghurst Castle zu einem besonders symbolischen Ort. Es war mehr als nur ein neues Projekt oder ein neues Zuhause; es war eine Art Wiedergutmachung, ein Ort, den sie als ihr eigenes Schloss beanspruchen konnte.
Sie restaurierte die erhaltenen Gebäude liebevoll, richtete zwei Schlafzimmer für sich selbst ein, jeweils eines für ihre beiden Söhne. Sie war nicht nur die Dame des Hauses, sie war die Königin ihrer eigenen Burg.
Neben der Restaurierung der Gebäude galt Sackville-Wests Leidenschaft auch dem Garten. Sie verwandelte die einstige Müllhalde in einen spektakulären Garten, der heute als einer der schönsten Englands gilt.
Jeder Winkel des Gartens spiegelt Sackville-Wests Liebe zur Natur und zur Kunst wider. Ihre Arbeit im Garten kann als Metapher für ihren literarischen Schaffensprozess gesehen werden: Sorgfältige Planung, intensive Arbeit, Hingabe und Geduld, die sich schließlich in Form von atemberaubender Schönheit und Ausdruckskraft entfalten.
Ein Zuhause in der Höhe
Sackville-West hatte schon immer eine tief verwurzelte Begeisterung für die englische Geschichte und Kultur. Ihre Vorbilder waren nicht nur die großen Werke Shakespeares, sondern auch die Schönheit und Eleganz von Knole, dem ehrwürdigen Familienbesitz in Kent, der sie in ihrer Jugend umgab.
In Shakespeares Schriften fand Vita ein Kaleidoskop menschlicher Erfahrungen, das ihr einen reichen Einblick in die Breite und Tiefe des menschlichen Geistes bot. In Knole entdeckte sie eine physische Manifestation der Größe und Beständigkeit der englischen Geschichte, verkörpert in den majestätischen Gemäuern und gepflegten Gärten des Schlosses. Diese beiden Elemente vereinigten sich in ihrer Seele und gaben ihr eine tiefe Wertschätzung für die Vergangenheit, die sich in ihrer Arbeit ausdrückte.
Mit der gleichen Faszination für die Vergangenheit, die sie in den Schriften Shakespeares und in den Mauern von Knole fand, entdeckte Vita Sackville-West eine weitere Quelle der Inspiration in Sissinghurst Castle. Die reiche Geschichte des Schlosses, das im Laufe der Jahrhunderte ein Kloster, ein königliches Gefängnis und ein Bauernhof war, weckte in ihr eine Fülle von Gefühlen und Ideen.
Wie das Auge eines Künstlers, der ein leeres Blatt Papier betrachtet, sah Vita in der scheinbaren Verlassenheit und Vergessenheit von Sissinghurst Castle eine unendliche Quelle der Inspiration. Jede Steinmauer, jeder verwitterte Balken, jeder verwunschene Garten schien eine Geschichte zu erzählen. Und in ihrem Kopf begann Vita, diese Geschichten zu sammeln, zu verweben und zu ihrem eigenen kreativen Ausdruck zu formen.
Es war jedoch eine besondere Begebenheit, die den Kurs von Vitas Leben und Karriere änderte und ihr eine besondere Verbindung zu Sissinghurst Castle gab. Eines Tages löste ihr Mann, Harold Nicolson, mit einem Buttermesser einen Ziegelstein in der Wand des Schlosses. Dahinter entdeckte Vita einen verborgenen Turmraum.
In diesem Moment blickte sie durch das Loch und sah mehr als nur einen leeren Raum. Sie sah ein Heiligtum, einen Ort, der ihr allein gehörte. Sie erklärte, es sei ihr „Wohnzimmer“, und das sollte es auch werden – nicht nur im physischen Sinne, sondern auch in einem tiefgreifenden, spirituellen Sinn.
Sissinghurst Castle blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 1962 in ihrem Besitz. In diesem Turmraum, den sie liebevoll ihr Wohnzimmer nannte, verbrachte sie viele Jahre und schuf dort einige ihrer besten Arbeiten.
Sie schrieb über zwanzig Bücher in ihrem geliebten Turmraum, darunter Romane, Gedichte und Biographien, die ihr sowohl kritische Anerkennung als auch kommerziellen Erfolg einbrachten. Zudem verfasste sie zwischen 1946 und 1961 ihre wöchentliche Gartenkolumne für „The Observer“.
Mit der Zeit sorgte Vita dafür, dass der Turm die Annehmlichkeiten des 20. Jahrhunderts erhielt. Sie installierte Strom und baute sogar einen Kamin ein. Doch trotz dieser Modernisierungen nutzte sie den Kamin nur selten. Ihr Herz und ihre Seele gehörten der Geschichte, die der Turm repräsentierte, und den Worten, die sie dort schrieb.
Meisterin der Worte
Es gibt Menschen, deren Geschick für Sprachen jenseits aller menschlichen Vorstellungskraft liegt. Vita war eine von ihnen. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der andere Menschen atmen, konnte sie fließend schreiben – und das nicht nur in ihrer Muttersprache, sondern auch auf Französisch und Italienisch. Ihre Finger formten komplexe Sätze und webten prächtige Textlandschaften. Die Leichtigkeit, mit der sie die Worte in verschiedenen Sprachen zu Papier brachte, erweckte den Eindruck, als wäre das Schreiben für sie eine zweite Natur.
Ihre Liebe zum Schreiben entwickelte sich in ihrer Jugend, als sie als Teenager bereits zwölf Romane und Theaterstücke auf dem Dachboden des Knole House schrieb. Wie eine Spinne im Netz der Worte saß sie dort oben, allein mit ihren Gedanken und ihrem Schreibgerät. Sie war geradezu besessen von der Kraft der Worte, die die Fähigkeit besaßen, andere Welten zu erschaffen, Emotionen zu wecken und das menschliche Dasein zu reflektieren.
Die Magie ihrer Worte war umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass Vita bei einem großen Teil ihrer Arbeit kaum Entwürfe brauchte. Sie schrieb wie eine Malerin, die mit einem einzigen Pinselstrich ein Kunstwerk schafft.
Es gab jedoch eine Ausnahme zu dieser Regel. Wenn Vita Gedichte schrieb, gab es viele Entwürfe. Warum? Weil Poesie für sie eine Magie erforderte, die bloße Prosa nicht bieten konnte. Vita glaubte, dass Poesie einen besonderen Klang, eine besondere Melodie benötigte, die es in der Prosa nicht gibt. „Poesie erfordert eine Magie, die bloße Prosa nicht bieten kann“, sagte sie einmal.
Trotz ihrer Liebe zur Prosa, war Vita überzeugt, dass Poesie das höchste literarische Gut darstellt. Sie sah Prosa als eine schlechte Sache im Vergleich zur Poesie an und fügte hinzu, dass Schreiben ein seltsamer und schwieriger Beruf ist. Und trotz ihrer Talente und Erfolge betrachtete Vita das Schreiben immer als eine Herausforderung, als eine Reise mit unbekanntem Ausgang, auf der sie sich immer wieder neu erfinden musste.
Als Schriftstellerin war Vita auch eine Wächterin von Geheimnissen. Ihre Familie erfuhr oft erst nach der Veröffentlichung ihrer Werke das Thema oder den Titel des Werks. Sie bewahrte ihre Texte auf wie einen Schatz und versteckte sie vor den neugierigen Augen ihrer Liebsten.
Ein besonderes Geheimnis von Vita war der Turmraum. Sie erlaubte nur wenigen Menschen den Eintritt in diesen besonderen Raum. Selbst ihre Kinder durften diesen Raum nur selten betreten. Es war ihr heiliger Ort, ihr Refugium, ihr privates Universum.
Wenn ihre Kinder sie zum Mittagessen riefen, blieben sie auf sicherer Entfernung vom Turmraum, wagten es nicht, auch nur einen Fuß auf die Treppe zu setzen. Einer ihrer Söhne erinnerte sich später, dass er in dreißig Jahren nur ein paar Mal in diesem mysteriösen Raum gewesen war.
Vita weigerte sich stets, die Einrichtung im Turmraum zu erneuern, selbst als die Tapeten sich zu lösen begannen. Für sie war dieser Raum ein Zeugnis der Zeit, ein Ort, der zusammen mit ihr alterte. Sie sah Schönheit in der Patina der Jahre, in den Spuren der vergangenen Zeit, die sich auf den Möbeln, den Wänden und den Objekten in ihrem Turmraum abzeichneten.
Sie sagte, ihr Besitz müsse mit ihr zusammen altern. Sie mochte es, von den Spuren der vergangenen Zeit umgeben zu sein. Die Vergänglichkeit und die Erinnerungen, die diese Spuren hervorriefen, waren für sie Quellen der Inspiration.
Die unveröffentlichte Geschichte einer besonderen Schriftstellerin
Als das Leben der Schriftstellerin Vita zu Ende ging, hinterließ sie nicht nur ein erstaunliches literarisches Vermächtnis, sondern auch ein fesselndes Mysterium in Form unveröffentlichter Memoiren. Ihr Sohn fand dieses geheime Juwel nach ihrem Tod in einer Tasche und brachte es in einer ungewöhnlichen Form ans Licht.
Im Jahr 1973 veröffentlichte Vitas Sohn aus diesen geheimnisvollen Manuskripten ein Werk namens „Portrait of a Marriage“. Darin fand er die Möglichkeit, die Komplexität der Ehe seiner Eltern aus seiner Perspektive darzustellen. Es ist eine Sichtweise, die dem Leser einen intimen Blick in eine Beziehung gewährt, die, wie so viele, ihre Höhen und Tiefen hatte.
Die Art und Weise, wie Vita ihre Werke hinterließ, bietet einen ebenso faszinierenden Einblick in ihre Persönlichkeit und ihren Schreibstil. Der Turmraum, in dem sie arbeitete, war von einem robusten Eichenschreibtisch dominiert, auf dem sich eine Sammlung von Kugelschreibern, Büroklammern und Brillen befand. Daneben lagen auch ungewöhnliche Funde wie Bodenproben, was zu Spekulationen über die weitreichenden Interessen und Neigungen der Autorin führte. Diese Sammlung von Objekten könnte auch als Metapher für Vitas umfassendes Werk und ihre Neugier auf die Welt gesehen werden.
Heutzutage sind die Bücher von Vita eine begehrte Rarität. Oft sind sie vergriffen, und selbst gebrauchte Exemplare sind nur schwer zu bekommen. Dies mag zunächst als Hindernis erscheinen, aber es verleiht auch denjenigen, die eines ihrer Bücher in die Hände bekommen, ein Gefühl der Besonderheit und Exklusivität.
Vita war nicht nur als Dichterin und Romanautorin bekannt, sondern auch als Reiseschriftstellerin, Biografin, Journalistin und Historikerin. Sie war eine wahre Meisterin des geschriebenen Wortes, und ihr Talent überspannte zahlreiche Genres und Themenbereiche. 1947 wurde sie für ihre Verdienste in der Literatur sogar mit einem Ehrentitel ausgezeichnet, eine wohlverdiente Anerkennung für ihr literarisches Können und ihren Beitrag zur Kultur.
Über 35 Bücher gehen auf Vitas Konto, eine beachtliche Leistung, die die Breite und Tiefe ihrer literarischen Fähigkeiten unterstreicht. Sie schrieb Biografien über umkämpfte Frauen, was ihre Bereitschaft zeigt, sich mit komplexen und oft übersehenen Themen auseinanderzusetzen. Ihre Reiseberichte, wie zum Beispiel „Passenger to Teheran“, waren bekannt für ihre fantasievolle Wahrnehmung und ihren einzigartigen Schreibstil, der den Leser direkt in die Szene hineinversetzte.
Interessanterweise betrachtete Vita ihre eigenen Gedichte oft als veraltet und sogar als „Quatsch“. Und doch erhielt sie für diese Werke mehrmals Auszeichnungen. Diese widersprüchliche Selbstwahrnehmung ist ein weiterer Beweis für die Komplexität und Tiefe ihrer Persönlichkeit.
Ab 1946 verlagerte Vita einen Teil ihrer Schreibenergie auf die Gartenarbeit, ein Thema, das sie leidenschaftlich interessierte. Sie schrieb „In Your Garden“ eine wöchentliche Gartenkolumne für
„The Observer„, die schnell zum Klassiker wurde und ihre Expertise in diesem Bereich bewies.
Auch ihre Romane erfreuten sich großer Beliebtheit, darunter „The Edwardians“, das 1930 sofort zum Bestseller wurde.
Vita bewies immer wieder ihre Fähigkeit, fesselnde Geschichten zu erzählen, die die Leser in ihren Bann zogen und sie auf eine Reise in ferne Zeiten und Orte mitnahmen.